... gegangen ist heute die Lady genannte 17jährige Katze unserer Tochter. Sie war, wie so oft schon, bei uns in den Ferien, weil Tochter und Schwiegersohn einen wohlverdienten Urlaub im Ausland verbrachten. Eines sonnigen Tages Mitte September brachte sie eine Maus nach Hause, verspeiste sie und ging wieder nach draussen, wo sie sich auf eine Holzbeige legte und den Sonnenschein genoss. Seither hatte ich (hatten wir) sie nie mehr gesehen. Wir hatten stunden- und tagelang nach ihr gesucht. Vergeblich! Bis heute Morgen.

Nach ihrem Verschwinden hatten wir im ganzen Dorf Flyer mit diesem kurz zuvor aufgenommenen Foto aufgehängt und Inserate in zwei Zeitungen geschaltet. Etliche Anrufe brachten nicht den erhofften Erfolg resp. es stellte sich heraus, dass die gefundene Katze nicht unsere war. Gestern jedoch war eine Frau aus dem Dorf mit ihrer eigenen Katze bei der Tierärztin. Der Zufall wollte es, dass eine andere Frau, ebenfalls aus unserem Dorf, sich gleichzeitig bei derselben Tierärztin einfand mit einer völlig entkräfteten Katze, die sich gleichentags in ihren Keller verirrt hatte.
Frau1 erinnerte sich unserer Flyer und Inserate und sprach Frau2 darauf an, worauf diese ihr erzählte, dass die Katze nicht ihr gehöre, sondern sie diese eben in ihrem Keller gefunden und aufgrund ihres miserablen Zustands sofort zur Tierärztin gebracht habe. Frau2 rief mich also gestern Abend an und erzählte mir die Geschichte; sie war sich ziemlich sicher, dass die Katze, die Frau1 zur Tierärztin gebracht hatte, unsere sei. Ich rief daraufhin Frau1 an, schickte ihr per E-Mail Fotos unserer Lady-Katze, und auch Frau1 meinte, dies sei mit grosser Wahrscheinlichkeit unser vermisstes Büsi. Ich freute mich, hatten wir doch die Hoffnung, Lady wiederzufinden, schon aufgegeben! Wo mochte sie nur gewesen sein? Wir hatten doch immer wieder das ganze Dorf abgesucht und auch in den Wiesen und Wäldern in der Umgebung nach ihr gerufen...
Anruf in der Tierarzt-Praxis, es war schon ausserhalb der Geschäftszeit, aber glücklicherweise nahm jemand ab, gab mir die E-Mail-Adresse, ich schickte wieder die Fotos und: Ja, es sehe so aus, als sei das unsere Lady. Aber sie sei in erbärmlichem Zustand, wir sollten uns keine zu grossen Hoffnungen machen. Um 22:00 Uhr ein weiterer Anruf aus der Praxis, Lady habe ein multiples Organversagen und eine Pankreatitis; es bestehe praktisch keine Hoffnung, dass sie wieder gesund werde. Wir sollten am Morgen in die Praxis kommen.
Wir beschlossen, meine Tochter, die sehr an diesem Tierchen hing, noch nicht zu benachrichtigen. Wir wollten erstens sicher sein, dass es wirklich Lady war, und zweitens wollten wir ihr unnötige Aufregung ersparen, hatte sie sich doch weitgehend damit abgefunden, dass ihre älteste Freundin, die sie seit 17 Jahren begleitet hatte, wohl nicht mehr am Leben sei.

Heute Morgen also begaben wir uns zur Tierärztin. Es war tatsächlich unsere Lady, und sie sah wirklich erbarmungswürdig aus, abgemagert, struppig, mit glanzlosem Blick. Immerhin reagierte sie auf unsere Anwesenheit, schmiegte sich in meines Partners Arme und begann sogar leise zu schnurren.
Aber: Ihre Blutwerte seien so miserabel, dass es nicht zu verantworten sei, sie mit künstlicher Ernährung und weiteren Massnahmen zu plagen. Sie habe grosse Schmerzen, habe zwar ein wenig getrunken, aber nichts gefressen und auch nichts ausgeschieden. Mir tat das Herz weh, sie so zu sehen. Und noch mehr schmerzte mich, dass ich nun doch meine Tochter anrufen und ihr sagen musste, was mit ihrer geliebten Katze geschehen war.

Sie kam, so schnell sie konnte und brach in Tränen aus, als sie ihre Katze in diesem Zustand sah. Die Tierärztin erklärte ihr, dass es für Lady keine Rettung mehr gebe, dass es auch im allerbesten Fall höchstens noch um eine Lebensverlängerung von zwei bis drei Wochen gehen könne, und dies unter heftigsten Schmerzen. Es sei eine Sache der Fairness, der Katze weiteres Leiden zu ersparen und sie einzuschläfern...
Oh Gott, ich konnte es fast nicht aushalten, meine Tochter so unglücklich und verzweifelt zu sehen! Sie rang mit sich, mit der Tierärztin, hielt ihre todkranke Katze im Arm. Es war so grauenhaft, so schlimm! Schliesslich stimmte sie schweren Herzens zu; Lady starb in ihren Armen. "Du bist das schönste, das beste Büsi, das es je gegeben hat!", flüsterte sie immer wieder und streichelte das Tierchen, so lange, bis dessen Herz nicht mehr schlug.
Es war bestimmt die richtige Entscheidung, aber ...ach, tut das weh! Nur eine Katze? Ja, aber eben diese eine, diese ganz besondere Katze!