Das ist eine veritable Gratwanderung; einerseits verstehen Mädchen und Buben sehr schnell, dass etwas nicht stimmt. Sie spüren, es liegt Beängstigendes in der Luft, haben aber keine Vorstellung davon, worum es geht. Kinder jeden Alters brauchen deshalb Erklärungen, und zwar möglichst schon, bevor Mama im Krankenhaus liegt und operiert werden muss, oder die Nebenwirkungen einer Chemotherapie – wie Haarausfall, Übelkeit, Erschöpfung – die sonst doch so fröhliche Mutter in die Knie zwingen. Zu schweigen und zu hoffen, das gehe schon „irgendwie“, ist keinesfalls eine Option.
Für Eltern ist dies eine enorme Herausforderung: Einerseits hat die Diagnose Brustkrebs ihr eigenes Leben komplett auf den Kopf gestellt, und sie möchten sowohl die Erkrankung selbst als auch die notwendigen Therapien so schnell und so positiv wie möglich angehen. Andererseits ist Krebs immer eine massive Bedrohung, die zwar nicht dramatisiert, aber auch nicht verniedlicht werden soll.
Für von Brustkrebs betroffene Eltern mit Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren ist kürzlich ein Büchlein erschienen, das viel zur Bewältigung dieser Aufgabe beitragen kann: „Manchmal ist Mama müde. Ein Kinderbuch zum Thema Brustkrebs“ hilft dabei, das Unfassbare in kindgerechte Worte zu bringen, sodass Kinder die Erkrankung ihrer Mutter besser verstehen können. Mithilfe ansprechender Bilder erzählt das Buch die Geschichte von Lulu und ihrer an Brustkrebs erkrankten Mutter.
Es behandelt hauptsächlich die Auswirkungen der mütterlichen Erkrankung resp. der Therapiefolgen auf Kinder, zum Beispiel lernt die kleine Lulu die Müdigkeit ihrer Mutter zu begreifen: Mama hat keine Lust mehr zu spielen, weil ihr Körper so viel Kraft braucht, um sich gegen den Krebs zu wehren. Manchmal ist Lulu aber einfach nur wütend auf den blöden Krebs – auch diese Gefühle sind nachvollziehbar geschildert und hervorragend illustriert.
Ebenso wie die Krankheit selbst kommt das veränderte Aussehen der Mutter nach der Entfernung der kranken Brust oder dem unvermeidlichen Haarausfall zwar zur Sprache, allerdings eher nebenbei – was den Bedürfnissen kleinerer Kinder entgegenkommt. Das Büchlein skizziert verschiedene sinnvolle Bewältigungsstrategien wie beispielsweise die Schaffung eines geschützten Raums in Form einer „krebsfreien Zone“ in der Wohnung, wo nicht über die Krankheit gesprochen wird.
Sehr berührend thematisiert das Buch diffuse Kinderängste – nein, die Krankheit ändert nichts an Mamas Liebe für Lulu! Auch dann nicht, wenn sie ins Spital oder zur Chemotherapie muss und kaum mehr Energie hat, sich ihrer Tochter aktiv zuzuwenden. Wie das weitere Umfeld – Ehemann resp. Vater, Grosseltern usw. – Lulu dabei unterstützen kann, mit Mamas Erkrankung zurechtzukommen, zeigt das Büchlein auf sympathische Art.
Mit diesem Kinderbuch stellen die Autorinnen Anne-Christine Loschnigg-Barman und Judith Alder vom Thema Brustkrebs betroffenen Eltern, Paten, Grosseltern usw. ein Hilfsmittel zur Verfügung, welches das Gespräch mit Kindern über diese Krankheit erheblich erleichtert.
Mir gefällt die unbefangene Art, wie Dinge in diesem kleinen Buch beim (richtigen!) Namen benannt werden. Sowohl die Texte als auch die Illustrationen sind einfühlsam und nachvollziehbar gestaltet und fördern zweifellos das kindliche Verständnis für an Brustkrebs erkrankte Mütter. Ohne zu viel verraten zu wollen: Allein schon aus den letzten zwei Doppelseiten lassen sich Mut und Hoffnung schöpfen! Ein rundum gelungenes kleines (Kunst-)Werk!
Anne-Christine Loschnigg-Barman/Judith Alder:
Manchmal ist Mama müde. Ein Kinderbuch zum Thema Brustkrebs.
ISBN 978-3-03754-061-9
EMH Schweizerischer Ärzteverlag (www.emh.ch); Basel 2011.